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Clean Up Darmstadt – Ein Interview mit Gründerin Melanie Kerth

Darmstadt von herumliegenden Müll zu befreien – das hat sich Melanie Kerth mit ihrer Clean Up Gruppe zur Aufgabe gemacht. Regelmäßig finden hierfür Aufräumaktionen statt.

Clean Up Gruppe Darmstadt Melanie Kerth Müll

 

Till Kleindiek, 24 Jahre, studiert in Erfurt Kommunikationswissenschaften. Aufgewachsen ist er in Darmstadt. Mit der Heimat immer noch verbunden absolvierte er bei uns im Team von Darmstadt im Herzen ein Praktikum. Er traf Melanie Kerth, Gründerin der Initative Clean Up Darmstadt und erzählt uns von ihrem Gespräch.

Ich bin mit Melanie Kerth verabredet. Vor fast 3 Jahren hat sie die Initiative „Clean Up Darmstadt“ ins Leben gerufen. Mit 15-20 Freiwilligen sammelt sie an festen Terminen Müll in den Ecken Darmstadts, in denen er liegen bleiben würde, wenn es die Gruppe nicht gäbe. Waldstücke an Schnellstraßen rund um Darmstadt werden von Autofahren häufig als Mülldeponie missverstanden. Die Idee dazu kam ihr im Irlandurlaub. Als das Strandidyll der europäischen Insel von riesigen Müllbergen im Meer entstellt wurde, gewann das Gefühl, etwas tun zu müssen, die Oberhand. Zum Glück für Darmstadts Wälder.

Ich klingele und sie öffnet das Tor zu einem, erfreulicherweise schattigen, Innenhof. Frau Kerth und ihr Hund begrüßen mich, beide gleichermaßen freundlich. Auf einer Rasenfläche steht eine Bierbank mit Kaffee darauf. Kuhmilch trinkt sie nicht, wie mir später klar wird, dennoch bietet sie bereitwillig aus der Glasflasche an, sehr freundlich!

Direkt nach ihrem Urlaubserlebnis habe sie versucht, eine Müllsammelgruppe zu gründen, jedoch ohne Erfolg. Beim ersten Treffen seien noch sieben oder acht Leute erschienen, beim zweiten habe sie allein dagestanden. Ein Fußballspiel und alles andere sei auf einmal wieder wichtiger, sagt sie. Einer der Gründe dafür, dass ihre Bemühungen, eine Gruppe zu gründen, beim zweiten Mal, ein Jahr später, von Erfolg gekrönt waren, sei laut eigener Aussage die Aktivistin Greta Thunberg und ihre Fridays for Future Bewegung. Wie dieses junge Mädchen durch ihr Engagement die Welt verändert hätte, sei einfach toll schwärmt sie.

Sofort wird klar, dass Melanie Kerth eine sehr naturverbundene Person ist. Eindrücklich schildert sie, wie sie Vögel mit Plastik im Schnabel auf ihrem Balkon zur Verzweiflung bringen und sie nach ihrem Irlandurlaub in Darmstadts Wäldern nur noch eines sehen konnte: Müll. Der Grund für ihren Schritt in die Aktivität offenbart sich schnell. Müllberge am Strand und in Wäldern, Vögel, die ihre Jungen aufgrund von sinnlosem Plastik nicht mehr füttern können, haben den Druck im Kessel der Toleranz zu groß werden lassen. Sie brauchte ein Ventil – Clean Up Darmstadt.

Ventil anscheinend gefunden, schön und gut. Kommt mit diesem aber nicht auch der ewige Kampf gegen Windmühlen und die damit einhergehende Frustration, frage ich sie. Sich zu jeden Clean Up Treffen aufraffen und immer wieder die gleichbleibenden Müllberge vorfinden, nervt das nicht?

Frau Kerth überlegt einen Moment. Frustrierend sei vielleicht das falsche Wort, sagt sie. Sie und ihre MitstreiterInnen würden sich einfach keine Gedanken mehr darüber machen, sonst wäre es wahrscheinlich irgendwann frustrierend. Außerdem hätte sie auch schon leichte Veränderungen bemerkt. Beim letzten Clean Up in Roßdorf seien das erste Mal in 3 Jahren weniger Säcke zusammengekommen. Nur 12-13, früher wären es Tonnen an Müll gewesen. Kurz entgleist mir das Gesicht, als ich begreife, dass die Maßeinheit Tonnen nicht als Hyperbel gemeint ist. Dennoch wirkt Melanie Kerth grundsätzlich positiv gestimmt. Immer mehr LehrerInnen würden an ihren Clean Ups teilnehmen und in ihren Unterricht einarbeiten. Vernetzt sei sie zu dem mit anderen Clean Up Gruppen deutschlandweit, teils auf der ganzen Welt. So wisse sie einfach, dass es überall Menschen gebe, die etwas ändern wollen würden. Aber gerade beim Verhalten der Industrie und dem kollektiven Bewusstsein der BürgerInnen sehe sie Veränderungsbedarf. Ich hake ein und frage, an welchen Stellschrauben diesbezüglich gedreht werden könnte.

Und dann rückt sie raus, mit ihrem großen Ziel. Wahrscheinlich hat jeder Mensch, der sich wie Frau Kerth engagiert, etwas Konkretes, worauf er oder sie hinarbeitet. Wie könnte man es sonst aushalten, alle zwei Wochen Tonnen von Müll aus Wäldern zu schaffen, ohne die lose Hoffnung auf Besserung. Aufmerksam höre ich zu, doch ehrlicher Weise stellt sich Vieles in mir auf die immer gleiche Utopie ein, die wir alle so gerne hätten, deren Erfüllungswahrscheinlichkeit aber gen Null geht. Überraschend realistisch kommt ihre Vorstellung einer perfekten Welt von der anderen Seite der Biergarnitur.

Zwei Tage im Jahr, mehr wolle sie nicht. Zwei Tage im Jahr, an denen möglichst viele BürgerInnen die Möglichkeit hätten, in Darmstadt müllsammeln zu gehen. Sie spricht und versprüht dabei so viel Tatendrang, dass ich trotz der Träger an ihrem Sommerkleid das Gefühl bekomme, sie würde sich gerade die Ärmel hochkrempeln. Bei der Formulierung dieses Ziels wirkt sie nicht desillusioniert oder so, als habe sie vor ihrer ursprünglichen Erwartung kapituliert: Kein Müll mehr in Darmstadts Wäldern. Viel mehr macht sie klar, wieviel diese zwei Tage schon bewirken könnten. Wer nur einmal an einem Clean Up teilgenommen habe, der würde niemals wieder Müll irgendwo hineinwerfen, was nicht wie ein Mülleimer aussähe oder nur stumm dabeistehen, wenn eine andere Person dies nicht so handhabe.

Ich frage weiter. Oft drehe es sich beim Thema Umweltschutz um die Industrie oder die Politik, einfach um große Hebel und die, die sie in der Hand halten. Ob es ihr in der Debatte um Klimawandel und Umweltschutz manchmal zu kurz komme, wieviel man als Einzelperson durch ein Engagement wie ihres bewirken könne?

Letztendlich seien es die kleinen Dinge, die jeder machen könne, sagt sie. Einfach etwas in Glasflaschen kaufen oder sich mal einen Unverpacktladen von Innen ansehen, beginnt Frau Kerth. Aber kaufe man etwas in Glasflaschen, koste es gleich einen Euro mehr und würde unerschwinglich für den Otto-Normal Verdiener. Oder hier, zeigt sie und tippt energisch auf die Übeltäterin auf dem Biertisch, die Hafermilch im Tetra-Pack. Das würde auch als klimaneutral verkauft, das sei es aber einfach nicht und sie schildert mir, welchen Aufwand es braucht, die verschiedenen Materialien, der sich keiner Schuld bewussten Biohafermilch, zu entsorgen. Sie wirkt dabei so fachkundig wie energisch, dass ich förmlich spüren kann, wie die Milch in ihrer Verpackung ein schlechtes Gewissen bekommt. Schließlich kommt sie auf das zu sprechen, was sich ihrer Meinung nach aber schon in Darmstadt verbessert habe. Bei den meisten To Go Konzepten würde inzwischen auf Pappe gesetzt, nicht mehr auf Plastik und in den meisten Cafés werde auf nachfüllbare Becher gesetzt.

Sie überlegt kurz, dann berichtet sie von einer Begegnung mit einem älteren Herrn, den sie bei einer ihrer Clean Up Aktionen im Wald getroffen habe. Sehr nette Worte habe er für ihr Engagement gefunden und angesprochen, dass es ihn der Müll in den Wäldern auch sehr ärgere. Daraufhin habe sie gefragt, warum er ihn denn nicht aufgesammelt hätte, natürlich ohne die Frage als Forderung zu formulieren. Der Mann sei sehr perplex gewesen und habe eingestanden, da einfach nicht drauf gekommen zu sein.

Ich werde neugierig und frage, warum viele Menschen würden sich Gedanken um Umweltschutz und Klimawandel machen, warum aber nur wenige etwas unternehmen?

Frau Kerth guckt kurz Richtung Himmel und schlägt sie Hände leicht auf ihre Oberschenkel, als sie zur Antwort ansetzt. Nun habe ich das erste Mal in unserem Gespräch doch den Eindruck, dass sie etwas ratlos ist. „Ganz ehrlich, ich weiß es nicht“ sagt sie. Sie wisse einfach nicht, was Menschen dazu bewege, etwas zu tun oder zu lassen. Keine Ahnung habe sie, warum jemand auf die Idee kommt, aus einem Auto Müll in den Wald zu schmeißen. Was nun folgt, lässt mich doch sehr überrascht, zumindest im Geiste, die Augenbrauen hochziehen. Mit vielem hätte ich gerechnet, allem voran mit einem von Resignation geprägten Gesicht. Stattdessen lacht Melanie Kerth einfach und ich kann keinen Anflug von Zynismus oder Ironie erkennen. Unglücklich sei sie deswegen aber nicht. Einfach nur froh, dass sie viele Menschen kenne, die die das Eine lassen und das Andere tun würden.

 

Der nächste World Clean Up Day ist am 18.09.21

Melanie Kerth wird auch dann wieder, mit hoffentlich zahlreichen MitstreiterInnen, den Bürgerpark von Müll säubern. Zwar nicht mit einer Erklärung dafür, warum Menschen ihn dort hingeworfen haben aber auf jeden Fall ein bisschen glücklicher für jeden, der hilft ihn aufzusammeln.

 

 

Darmstadt im Herzen unterstütz die Clean-Up Inititiave

Das Engagement von Melanie Kerth hat auch uns von Darmstadt im Herzen begeistert und wir freuen uns, danke einer Spende der HEAG, die Gruppe mit einem Anhänger für den Transport der Sammel-Utensilien und des Mülls unterstützen zu können.