BAUSTEINE FÜR EINE MULTIMODALE UND KLIMASCHONENDE MOBILITÄT – WAS AKTEURE IN DER REGION RHEIN-MAIN-NECKAR TUN KÖNNEN
Die Region Darmstadt Rhein-Main-Neckar hat großes Potential, die Herausforderungen der dringend notwendigen Verkehrswende durch die Unterstützung zahlreicher regionaler Akteure zu meistern und als „Region der Mobilität der Zukunft“ zum bundesweiten Vorbild für andere Metropolregionen zu werden. Das ist das Ergebnis einer Langzeitstudie, die das ENTEGA NATURpur Institut am Mittwoch (22.11.) veröffentlichte.
Der Verkehrssektor trägt etwa 25 % zu den Treibhausgasemissionen Deutschlands bei und bisher sind kaum Minderungen erfolgt. Hier ist zur Erreichung der Klimaziele in den nächsten Jahren das Engagement von Akteuren auf allen Ebenen notwendig, um grundlegende Änderungen im Mobilitätsverhalten (Mobilitätswende) sowie bei den Antrieben (Antriebswende) umzusetzen. Dabei wird der regulative und fiskalische Rahmen im Verkehrsbereich zwar durch die EU und die Bundesregierung bestimmt, doch auch auf regionaler Ebene gibt es zahlreiche Einflussmöglichkeiten, die für ein Gelingen der Verkehrswende, also der Kombination aus Mobilitätswende und Antriebswende zentral sind.
Daher wurde in der vorliegenden Studie untersucht, was Akteure in der Region Rhein-Main-Neckar zu einer erfolgreichen Verkehrswende beitragen können. Das Projekt zielt darauf ab, lokale Bausteine einer Verkehrswende aufzuzeigen. Betrachtet wurden sowohl Rahmenbedingungen als auch Handlungsansätze und konkrete Beispiele für lokale Akteure. E-Mobilität, also die Antriebswende, stellt dabei nur einen der betrachteten Bausteine dar.
Im Fokus der vorliegenden Studie liegen mögliche Aktivitäten regionaler Akteure auf regionaler Ebene. Dabei wurden Einflussfaktoren auf die Mobilität und den Verkehr vor Ort ausgeleuchtet und vorhandene Barrieren und Potentiale für eine erfolgreiche Mobilitätswende herausgearbeitet. Dazu wurden leitende Personen von 42 Institutionen der Region aus Kommunalpolitik, kommunaler Verwaltung, privatwirtschaftlichen Unternehmen, Forschung und Entwicklung sowie Zivilgesellschaft befragt. Zudem wurde eine umfassende Bevölkerungsbefragung mit über 1.000 Personen durchgeführt.
„Die Interviews und Befragungsergebnisse zeigen, dass das ursprünglich im Mittelpunkt stehende Thema Elektromobilität unbestritten ein wichtiger Baustein für eine CO2-neutrale Fortbewegung ist. Für eine klimafreundliche und ressourcenschonende Mobilität ist aber die Berücksichtigung weiterer Bausteine dringend notwendig. Es geht auch darum, ein multioptionales Angebot aufzubauen, also ein System das Mobilitätsbedürfnisse der Bevölkerung über verschiedenste Verkehrsmittel, Angebote und Informationen abdecken kann und eine klimaschonende Mobilität fördert. Nur so kann eine Mobilitätspolitik aussehen, von der alle Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer gleichermaßen profitieren“, erläutert Hanno Benz, Oberbürgermeister der Wissenschaftsstadt Darmstadt und ENTEGA-Aufsichtsratsvorsitzender.
„Um ein solches Angebot in der Region zu ermöglichen, müssen die technischen und organisatorischen Voraussetzungen, eine verständliche Kommunikationsstrategie und eine enge Zusammenarbeit der regionalen Akteure geschaffen werden. So kann Darmstadt Rhein Main Neckar als Region der Mobilität der Zukunft zum Vorbild für andere Metropolregionen werden“, ergänzt Paul Georg Wandrey, Stadtrat und Mobilitätsdezernent der Wissenschaftsstadt Darmstadt.
Dr. Marie-Luise Wolff, Vorsitzende des Vorstands der ENTEGA AG, fügt hinzu: „Eine erfolgreiche Verkehrswende erfordert eine Kombination von umweltfreundlichen Verkehrs-mitteln vom ÖPNV über den Bahn- und Fahrradverkehr bis zum E-Auto. Diese Angebote müssen im ländlichen Raum wie in der Stadt, auch in Randzeiten, nutzbar sein. Die Interviews der befragen Akteure belegen, dass sowohl finanzielle Förderprogramme für Elektromobilität als auch der Ausbau der Ladeinfrastruktur mit über 90% priorisiert werden. Um die seit Jahren stagnierenden Treibhausgasemissionen des Verkehrssektors schnell und nachhaltig zu senken, müssen alle regionalen Akteure aus ihrer Kompetenz heraus und innerhalb ihrer Möglichkeiten einen Beitrag zur Umsetzung der Verkehrswende leisten.“
Als Ergebnis der Studie wurden bedarfsorientierte Handlungsempfehlungen formuliert, die an die regionalen Gegebenheiten der urbanen, suburbanen und ländlichen Gebiete der Betrachtungsregion Rhein-Main-Neckar angepasst sind.
„In den untersuchten südhessischen Landkreisen und Städten ist beim Umstieg auf neue integrierte Verkehrskonzepte noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten. Nach wie vor ist das eigene Auto das Verkehrsmittel, das am häufigsten genutzt wird (53%), gefolgt vom Fahrrad mit 24% der Befragten. Als Ergebnis macht die Studie eine Reihe von praxisnahen Vorschlägen wie der Umstieg nachhaltig gelingen kann“, erklärt der Vorsitzende der Geschäftsführung des ENTEGA NATURpur Instituts, Matthias W. Send.
Die Langzeitstudie wurde im Auftrag des ENTEGA NATURpur Instituts vom Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg (ifeu) und dem ISOE – Institut für sozial-ökologische Forschung in Frankfurt durchgeführt. Die renommierten Institutionen hatten im Zeitraum von knapp zwei Jahren den Status Quo der Verkehrswende in der Region um die Städte Darmstadt, Heppenheim und Höchst im Odenwald sowie den Odenwaldkreis, große Teile der Landkreise Darmstadt-Dieburg, Groß-Gerau, Bergstraße und Offenbach sowie wenige Kommunen bzw. Teile von Kommunen im Rhein-Neckar-Kreis im Neckartal erfasst, um Handlungsempfehlungen zu erarbeiten.
Dazu sagt Udo Lambrecht, Studienleiter des ifeu-Instituts: „Die Verkehrswende, die für eine klimaschonende Mobilität notwendig ist, stellt die Gesellschaft vor große Herausforderungen. Hier spielt die Region eine wichtige Rolle. Gemeinsam mit unseren StudienkollegInnen des ISOE haben wir Gespräche mit wichtigen Akteuren aus Wirtschaft, Verwaltung, Politik und Zivilgesellschaft geführt. Diese engagierten Diskussionen zeigten deutlich, welche Aktivitäten zur Verkehrswende schon in der Region Rhein-Main-Neckar stattfinden. Sie zeigten aber auch den Bedarf sowie Lösungsmöglichkeiten zur Weiterentwicklung der regionalen Verkehrswende auf. Für sechs ausgewählte Themenfelder haben ISOE und ifeu die regionale Situation beleuchtet und strategische Handlungsempfehlungen für Akteure in der Region entwickelt.“
„Die Bevölkerungsbefragung zeigt eine weiterhin starke Orientierung am Auto, wobei sich die meisten Befragten noch nicht eingehend mit dem Thema Elektromobilität auseinander-gesetzt haben“, fasst ISOE-Mobilitätsexpertin Jutta Deffner die Ergebnisse zusammen. „Damit die Verkehrswende gelingt, müssen alle vorhandenen Verkehrsmittel noch besser infrastrukturell miteinander verknüpft und nutzerorientierter werden. Mobilitätsoptionen müssen für Zuverlässigkeit stehen, für Unabhängigkeit, und sie müssen Spaß machen, damit Menschen sie in ihren Alltag integrieren. Alle Akteure in der Region Südhessen müssen gemeinsam viel stärker an kombinierten Mobilitätsangeboten arbeiten. Denn unsere Befragung hat auch gezeigt, dass mehr als ein Viertel der Bevölkerung diese multimodale Mobilität attraktiv findet und gerne viel öfter praktizieren würde. Dafür müssen Gelegenheiten geschaffen werden, aus denen Routinen werden können.“
Über die Jahre 2021 bis 2022 hatte das interdisziplinäre Forscherteam dazu in einem breit angelegten Forschungsprozess systematisch statistische Daten, Medienberichterstattung und Fachliteratur ausgewertet sowie 42 Experteninterviews mit hochrangigen regionalen Entscheidungsträgern aus Politik, Wirtschaft, Verwaltung, kommunalen Unternehmen, Wissenschaft und Zivilgesellschaft geführt. Im Einzelnen wurden in der Studie „Bausteine für eine multimodale und klimaschonende Mobilität – was Akteure in der Region Rhein-Main-Neckar tun können“ die sechs Themenfelder E-Mobilität und Ladeinfrastruktur, Carsharing, Radmobilität, öffentlicher Personennahverkehr, Nutzfahrzeuge sowie Governance/Regionalpolitik untersucht.
Auf Basis der Stakeholder-Interviews und der Bevölkerungsbefragung erarbeitete das Forscherteam strategische Handlungsempfehlungen für die oben aufgeführten involvierten Akteure. Diese umfassen sechs aufeinander aufbauende und ineinandergreifende, für die regionale Verkehrswende zentrale Themenfelder: Rahmenbedingungen, Öffentlicher Personenverkehr (ÖPNV), Multimodalität, Elektromobilität, Rad- & Fußverkehr sowie Kommunikation. Die Handlungsempfehlungen setzen – soweit sinnvoll – auf bereits in der Region laufende Aktivitäten auf. Zentrale Ergebnisse sind:
- Rahmenbedingungen schaffen für die Verkehrswende durch Ziele und konkrete Umsetzungspläne: Konkrete Ziele und Strategien sollten in Mobilitätsleitbildern und -plänen verankert werden, zudem sollten zielgerichtete Push- und Pull-Faktoren (Anreize und Regulierungen) für die Verkehrswende eingesetzt werden und für Fachthemen müssen angemessene personelle Kapazitäten vorhanden sein.
- Durch zielgruppenorientierte Kommunikation und lokale Kooperationen Hürden abbauen: herausfordernde Projekte können in regionalen Mobilitäts-Kooperationen einfacher umgesetzt werden, außerdem kann Beteiligung an Mobilitätsplanungen durch Bürger*innen die Akzeptanz und Attraktivität entsprechender Maßnahmen erhöhen und zu neuen Ideen führen. Neue Mobilitätsangebote haben mit zielgruppenangepasster Öffentlichkeitsarbeit mehr Chancen darauf, erfolgreich zu sein und für gemeinsame Projekte sind Kooperationen zwischen Kommunen essentiell.
- Elektromobilität für Pkw und Lkw weiterentwickeln und ausbauen: der Ausbau öffentlicher und privater Ladeinfrastruktur muss verstärkt werden und für eine umfassende Durchdringung mit E-Carsharing müssen Geschäftsmodelle für eine einfache Nutzung verfügbar sein, z.B. mit Stellflächen im Wohnquartier, der Einbindung in das Betriebliche Mobilitätsmanagement oder Ankernutzungskonzepten für gewerbliches E-Carsharing. Zudem kann die Elektrifizierung im urbanen und regionalen Güterverkehr zeitnah umgesetzt werden – und so der erste Schritt zur Antriebswende in der Logistik sein.
- Mit attraktiven multimodalen Angeboten einen Umstieg auf den Umweltverbund, also den Fuß-, Rad- und öffentlichen Personen(nah)verkehr, ermöglichen: die Verkehrswende erfordert die Kombination von umweltfreundlichen Fortbewegungsformen (z.B. Bus-, Bahn-, Fahrrad-, Fußverkehr und Carsharing) – auch in Randzeiten und dünner besiedelten Gebieten. Für die Nutzung multimodaler Mobilitätsangebote sollten bestehende digitale Dienstleistungen ausgebaut und kombiniert werden. Außerdem können durch Implementieren eines betrieblichen Mobilitätsmanagements bei Kommunen und Unternehmen, Emissionen reduziert und Mobilitätsroutinen verändert werden.
- Den öffentlichen Personennahverkehr als Grundpfeiler der Verkehrswende etablieren: Für eine bessere Erreichbarkeit, Verfügbarkeit und Taktung des ÖPNV ist ein Infra-struktur-Ausbau zwingend notwendig. Zudem erlaubt ein einheitliches Tarifsystem über Verbundgrenzen hinweg eine kundenfreundliche und einfachere Nutzung. Für spezifische Zielgruppen sowie Randzeiten und -bereiche sollten entsprechende Angebote eine flächendeckende Anbindung ermöglichen.
- Durch gut ausgebaute Infrastruktur einen sicheren Rad- & Fußverkehr schaffen: Eine sozial gerechte Mobilität beruht auf einer sicheren und gut auf- und ausgebauten Rad- und Fußverkehrsinfrastruktur. So müssen zur Nutzung von multimodalen Angeboten auch Verknüpfungspunkte auf- und ausgebaut werden und die Verstetigung von Rad- und Fußmobilität beruht auf einer Vorrangberechtigung für diese Fortbewegungsarten.
Die gesamte Studie „Bausteine für eine multimodale und klimaschonende Mobilität – was Akteure in der Region Rhein-Main-Neckar tun können“ inklusiver einer Zusammenfassung sowie weitere Statements der beteiligten Forscher und Institutionen stehen im Internet unter https://naturpur-institut.de/studie.
Pressemitteilung der ENTEGA AG vom 22.11.2023
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